Martin Rey Die Kopernikanische Revolution der Denkart (Die Ironie des Schicksals)
Philosophieren heisst...

Philosophieren heisst zu staunen. Jeden Tag. Fragen an sich und die Welt zu stellen und in sich hineinzuhorchen, die Welt zu beobachten und Antworten zu suchen.

Philosophieren heisst, sich zu interessieren, Neugierde zu empfinden, kreativ zu sein, die Bereitschaft zu haben, konstruktiv zu sein, bereit, Altes niederzureissen, Neues zu errichten.

Philosophieren ist der Versuch, die Verwirrung zu entwirren, der Versuch das Unverständliche zu verstehen, Orientierung in die Orientierungslosigkeit zu bringen.

Philosophieren heisst zu beobachten, einzuordnen und bei gescheitertem Einordnen wieder zu beobachten, zu hinterfragen und entweder eine neues Ordnungssystem zu finden oder die Beobachtung anders einzuordnen.

Philosophieren ist wie ein Zimmer aufräumen. Es heisst die Welt neu zu ordnen, die bestehende Ordnung zu hinterfragen und eine adäquatere zu finden. Eine philosophisch eingerichtete Welt sieht anders aus als diejenige eines Alltagsmenschen. .

Philosophieren heisst kategorisieren, heisst alles zu hinterfragen und jede Ordnung begründen zu können.

Philosophieren heisst, Autoritäten - vernünftig begründet - in Frage zu stellen. Philosophieren ist stets aktiv. Philosophieren kann nicht gelehrt, kann nur gelebt werden.

Philosophieren ist vernünftige Anarchie. Wer philosophiert muss das Chaos lieben, weil erst es ihn zur Ordnung zwingt.

Philosophieren heisst arbeiten und doch gleichzeitig viel Musse haben. Gleichgültigkeit ist der Tod jedes Philosophierens.

Philosophieren heisst genau und vor allem sehr selbständig zu denken. Es heisst, sich den Tatsachen und nicht den Autoritäten zu stellen.

Philosophieren heisst sich die Welt jeden Tag neu zu erschließen. Philosophieren heisst sich konzentriert und bewusst gehen zu lassen.

Philosophieren heisst die Relativität zu erkennen und die Realität in Frage zu stellen. Es heisst, anzuerkennen, dass sich die Welt nicht um einen selbst dreht. Es heisst, Einsamkeit ertragen, sie gar suchen zu wollen.

Alles Philosophieren ist ein Versuch, Sinn zu finden, Hoffnung zu stiften, zu verstehen. Alles wahre Philosophieren kommt zum Schluss, dass kein Sinn gefunden, keine Hoffnung gestiftet, nichts verstanden werden kann. Darin erkennt der wahre Philosoph den wahren Sinn, die wahre Hoffnung, das wahre Verständnis.

Philosophie tröstet den einen, bringt den anderen an den Rand des Wahnsinns, den Dritten an den Rand des Sinns.

Philosophieren heisst sich in andere hineinzudenken, hineinzufühlen. Es heisst zu erkennen, dass das was für einen selbst gilt – richtig reflektiert – auch für den Nächsten gilt.

Philosophieren heisst offen zu sein, offen dafür, seine Denkschemata, aber auch alle seine Sicherheiten in Frage zu stellen.

Philosophieren heisst andere und anderes in Frage zu stellen, aber vor allem sich selbst zu hinterfragen und daraus neue Kraft zu gewinnen. Manche verzweifeln an dieser Aufgabe.

Philosophieren heisst sich zu wagen, das einzig Sichere anzugreifen, das einzig Selbstverständliche zu torpedieren – sich selbst. Wer diesen Angriff übersteht ist für das Leben gerüstet.
Philosophieren heisst sich oft im Diskurs mit sich selbst und Anderen zu befinden. Philosophieren heißt beharrlich im Dialog stehen über „Dinge, die wir (noch) nicht verstehen“. Es heisst bewusst zu leben, es setzt den Willen voraus, sich selbst, die Welt und das Verhältnis zwischen diesen beiden verstehen zu wollen.

Philosophieren heisst wie Columbus die Welt entdecken zu wollen, das Neue nicht zu scheuen, das Neue radikal zu denken – und es zu suchen. Philosophieren heisst sein sicheres Versteck, den ruhigen Hafen zu verlassen und die stürmische See zu suchen. Philosophierend lassen sich noch manche Amerikas entdecken.

Philosophieren heisst mutig das Undenkbare zu denken, nicht um sich damit selbst zu genügen, sondern um es in die Welt hinaus zu schreien und damit denkbar zu machen.

Philosophieren heisst das Neue zu gebären oder ihm wenigstens als Hebamme zu dienen.

Philosophieren heisst zu wandern, zu reisen, zumindest in Gedanken sich in ferne Regionen zu begeben und das Exotische in sich aufzusaugen, davon zu zehren und sich inspirieren zu lassen.  

Philosophieren heisst, sich Zeit zu nehmen.

Philosophieren ist eine Reise bis ans Ende der Welt, darüber hinaus und wieder zurück.

Philosophieren heisst, sich eine eigene Welt zu schaffen, heisst die Bereitschaft stets einen neuen Weg einzuschlagen, die Bereitschaft, Sackgassen als solche anzuerkennen.

Philosophieren bedeutet konsequent zu sein, konsequent im Willen, die Weisheit über den eigenen Vorteil zu stellen.

Philosophieren heisst alles, also auch sich selbst, in Frage zu stellen. heisst zweifeln an sich selbst, seiner Wahrnehmung und der Welt. Es heisst anzuerkennen, dass es keine Wahrheit an sich gibt, sondern nur Wahrheiten, die innerhalb bestimmter Regelsysteme gültig sind.

Philosophieren heisst Grenzen anzuerkennen und gleichzeitig regelmässig gegen bekannte Regeln zu verstossen. Es heisst innerhalb einer bestimmten Welt jeden Stein, jedes Sandkorn, jeden Stern am Himmel umzudrehen, zu beobachten, zu beschreiben, zu analysieren.

Philosophieren heisst stets eine Sonnenbrille zu tragen, um sich nicht blenden zu lassen. Die Kunst des Philosophierens besteht darin, niemals eine Sonnenbrille zu tragen und sich doch nicht blenden zu lassen.

Philosophieren heisst zu zweifeln, aber nicht zu spinnen. Es heisst am Richtigen zu zweifeln ohne daran zu verzweifeln. Was aber auch heisst, am Falschen nicht zu zweifeln, wohlverstanden.

Philosophieren heisst zu spinnen. Wie eine Spinne ein Netz zwischen den verschiedenen eigenen Erfahrungen zu spinnen, diese zu verknüpfen, in einen größeren Zusammenhang zu bringen.

Philosophieren heisst aus diesen Erfahrungen einen Teppich von unglaublicher Komplexität und Schönheit zu weben.

Menschsein setzt Philosophieren, nicht aber Philosophie voraus. Jedes Kind, jeder „werdende Mensch“ muß sich erst philosophierend seine eigene Welt erschließen ohne sich je mit einem philosophischen Kanon auseinanderzusetzen. Wollen wir uns als Erwachsene weiterentwickeln, müssen wir uns an den Kindern ein Vorbild nehmen, ihnen zuhören und sie nachahmen im philosophierenden Fragen stellen an sich und die Welt.

Der Tod des Philosophierenden ist die Konstanz.